Akte Erich Blau

 

Heute ist ein besonderer Tag. Ein Tag auf den sie sich schon seit Jahren freut und ihre Erwartung ist groß. Nichtwegen des Wetters. Es ist Februar und auch hier in London, wie im Rest von Europa, liegt Schnee und es ist eiskalt.

Nein, sie fiebert dem Augenblick entgegen, an dem er seine Beichte ablegt.
Sie kennt den Delinquenten aus einer der Gerichtsverhandlungen am „Royal Courts of Justice“, dem höchsten Zivilgerichtshof des Landes. Bis vor einigen Jahren hat sie dort als Gerichtsstenografin gearbeitet. Aus Mangel an Beweisen wurde Erich Blau von der Anklage freigesprochen. Sie aber hält ihn, nach wie vor, für schuldig.

Nach diesem Fall beschloss sie, sich selbständig zu machen.
Seit einigen Jahren hat sie nun schon eine Agentur im Internet und bietet sich dort als Geheimnisbewahrerin an. Ihre Angebote sind seriös, anonym und diskret.
Da ihre Kundschaft betucht ist, können die Treffen überall auf der Welt stattfinden.
Sie liebt das Reisen von Kontinent zu Kontinent. Wo das Treffen stattfinden soll, gibt meistens der Kunde vor. Er wählt den Ort und das Hotel aus. Die Reservierung und die Bezahlung werden getrennt vorgenommen.

Sie stellt immer wieder fest, dass diese Typen sich wohlfühlen, wenn sie von ihren Taten berichten können, sich damit brüsten, wie genial und mit wie viel Raffinesse sie die eine oder andere Sache gedeichselt haben, wie gut sie darin sind und dass keiner ihnen etwas nachweisen kann, damals und heute nicht.
Anfänglich sitzen sie oft noch mit verschränkten Armen vor ihr, aber während des triumphalen Erzählens lehnen sie sich zurück, breitbeinig, konsumieren reichlich Alkohol und erwarten Absolution. Die Beichten dokumentiert sie und die Akten lagern in ihrem Tresor in der Bank.

Das heutige Treffen findet im Gore-Hotel statt, einen Steinwurf entfernt vom „Kensington Palace“. Dort wohnt man wie zu Queen Victorias Zeiten, als die ersten Besitzerinnen Ada und Fanny Cooks 1830 die noble Herberge eröffneten. Die Zimmer sind im Royal Flair eingerichtet, zum Teil mit Himmelbetten aus Mahagoni. Die Bäder sind mit original Delfter Kacheln ausgestattet und in manchen Zimmern gibt es, herrlich skurril, die Toiletten in Thronform. Sie hat „Ada’s Junior Suite“ im Victorianischen Charme gebucht.

Früh am Morgen kommt sie im Hotel an, erholt sich zuerst in ihrem Zimmer, bevor sie bei „Harrods“ die passende Garderobe auswählt.  Bei einem anschließenden Bummel im „Hyde Park“ entspannt sie sich. In der gemütlichen Bar im Hotel genehmigt sie sich einen Sherry, bevor sie sich für den Abend umzieht.
Dann wirft sie noch einen letzten Blick in den Spiegel. Sie ist zufrieden mit ihrem Aussehen, schreitet über den roten Teppich, die Treppe hinunter, Richtung Foyer. Das Spiel kann beginnen.    

Die Bar hat sich gefüllt und der Barkeeper ist beschäftigt. Von der Ecksäule aus hat sie Einblick in den Speiseraum und kann ihn, Erich Blau, unbemerkt eine Weile beobachten.

Sie erkennt ihn sofort wieder, obwohl es aussieht, als sei er ein wenig geschrumpft.
Aber vielleicht hat sie das falsch in ihrer Erinnerung. Sie sieht ihn wieder vor sich, wie er nach dem Freispruch, mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht, das Gerichtsgebäude verließ.
Seine Haarpracht ist jetzt verschwunden und der kärgliche Rest ist ziemlich ergraut.
Er ist wie damals fein herausgeputzt. Von diesem Kaschmirschal in blau-weiß kann er sich offenbar nicht trennen. Ist wohl immer noch Fan von dem Eishockeyclub „Blue Lions“.

Der Tisch, den er gewählt hat, steht etwas abseits von den anderen in einer Nische am Fenster. Mit einem Glas Whisky, das er lässig in der Hand hält, schaut er ihr entgegen, erhebt sich und begrüßt sie formvollendet mit Handkuss. Sie nimmt ihm gegenüber Platz. Er kann es kaum erwarten, seine Story loszuwerden.

Sie hört das übliche Klischee von der Geliebten, die er in seinem Fall im Eisstadion kennen gelernt hat, rothaarig, temperamentvoll, aber doch irgendwann lästig.  Schade, eigentlich war sie selber schuld, was muss sie ihm auch drohen. Also lud er sie in ein schickes Hotel ein, gab ihr K.O.Tropfen in das letzte Getränk und brachte sie aufs Zimmer. Er verließ sie und hörte, wie sie die Tür abschloss. Das machte sie immer, da sie Angst vor Einbrechern hat, egal, wo sie war. Am nächsten Morgen fragte er besorgt an der Rezeption nach. Er habe sie angerufen und an der Tür geklopft, aber sie habe sich nicht gemeldet. Endlich gelang dem Chef des Hauses die Tür zu öffnen. Da lag sie im Bett, ihr Puls war kaum zu spüren. Der Chef eilte auf den Flur, um zu telefonieren. Das gab ihm die Gelegenheit, eine Spritze mit Luft in ihre Vene zu setzen.

Jetzt hat er wieder dieses süffisante Lächeln im Gesicht. Morgen lächelt er nicht mehr.

Am nächsten Tag bestellt sie sich ein ausgiebiges Frühstück. Da Erich Blau nicht auftaucht, drückt sie ihre Besorgnis am Empfang aus. Ein Mitarbeiter der Rezeption geht mit ihr zu seinem Zimmer. Er öffnet die verschlossene Tür. Erich Blau liegt regungslos im Bett. Sie wirkt erschüttert und schickt den jungen Mann los, um einen Arzt zu holen.

Nach der Vernehmung der Polizei reist sie ab. Wieder zu Hause holt sie sich am Zeitungskiosk die „Times“. Dort liest sie: „In einem renommierten Hotel in London fand man am gestrigen morgen die Leiche eines Mannes. Die Tür war von innen verschlossen. Die Todesursache ist noch unklar. Die Polizei steht vor einem Rätsel.“

© Ursula Engel

 

Teekannen-Traum    

 

Die Nacht verabschiedet sich. Und der Tag kommt. Allmählich wird es hell. Ich stehe im oberen Regal und sehe, wenn ich durch das große Fenster schaue, tanzende Schneeflocken. Die Schneedecke wird dicker und dicker. Es ist kalt, es ist immer kalt in diesem Laden. In den Regalen gegenüber ruhen 300 köstliche Teesorten in Dosen, die darauf warten ihre Düfte zu entfalten.

Die Tür wird aufgeschlossen, der Frost kommt herein und mit ihm die Ladenbesitzerin. Hektisch wuselt sie herum. Sie hat noch keinen Tee gekocht und gleich werden Kunden kommen, um die angekündigten drei neuen Teesorten zu kosten. Hier werden sie verwöhnt von klassischer Musik und dem Duft nach
Orangen, Zitronen, Vanille und Caramel. Und über allem steht der krönende Duft von O’Conners Cream.

Die Gehetzten kommen, gönnen sich eine Pause bei einer Tasse Tee und einem gemütlichen Schwatz, verlassen nach ihrem Einkauf mit einem Lächeln auf dem Gesicht den Laden.
Also, wenn Sie mich fragen: Ich bevorzuge die Darjeeling’s mit ihren Geheimnissen.
Sie sollten wissen, ich bin eine Designer-Teekanne. Mein Körper ist aus silbergrauen Metall, ergänzt durch Glas. Ich träume, dass Sonnenstrahlen durch das Fenster in die Küche fallen und die schwimmenden Teeblätter in meinem Bauch in allen Facetten von Gelb, Grün und Rot erstrahlen.

Ich möchte jetzt endlich ein ruhiges zu Hause. Ab heute bin ich bereit. Ich darf gekauft werden. Bisher habe ich mich gesträubt. Bewundert haben mich schon viele, aber nach einem entsetzen Blick auf das Preisschild, griffen sie in das Regal unter mir.
Ich gestehe, ich bin sehr wählerisch. Familie – nein danke!
In deren Chaos fegt mich am Ende noch einer vom Tisch...
Oder, wenn ich mir vorstelle, stundenlang  in so einem alten
Holzküchenschrank zwischen anderen Kannen eingezwängt zu sein... Vielleicht auch noch ungesehen, weil Gardinchen vor den Scheiben hängen. Nein, nein, nein..
Ich gehöre in einen futuristisch eingerichteten Single-Haushalt, mit viel Platz in einem Glasschrank oder dampfend, mit gefülltem Bauch auf einen edlen Glastisch, mit Ausblick über die City.
Einverstanden wäre ich auch mit einer eleganten Wohnung, in der sich die Lady des Hauses auf einer Récamiere räkelt und die englische Kurzhaar eingerollt zu ihren Füßen liegt.
Drum herum gefüllte Bücherregale und ein Tisch auf dem ich throne, während der wärmende Göttertrank in mir bereit ist, seine entspannende Wirkung auf die in eine Kaschmirdecke eingehüllte Madam zu übertragen.

Plötzlich starren mich zwei Augenpaare an.
 „Ja so eine, die da oben, das Designer-Modell, so eine suche ich.“
Unter mir steht ein Mann, 1,80 Meter lang, schlaksig, im dunkelbraunen Einreiher mit passendem Mantel und Schal, Typ Banker.
Mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht holt mich die Besitzerin aus dem Regal. Wahrscheinlich ist sie froh, mich endlich verkauft zu haben. Wie gewünscht, verpackt sie mich in Geschenkpapier.

Ich finde mich wieder auf einem Geschenktisch und was sehe ich?
Zwei Kannen meiner Art! Glotzen mich an! Unverschämtheit!
die kommen bestimmt aus China, das Glas ist sicher nicht echt...

Ich  -  bin  -  einmalig

© Ursula Engel