So hätt ichs gern

Ein großes Fenster
weit aufgemacht
ein Abend, durch den die Sonne lacht
das Meer so blau wie Königstinte
ich sitze in einer südlichen Pinte
vor mir ein Glas mit rotem Wein
So hätt ichs gern so könnte es sein!

Da draußen ein Schiff
mit weißem Segel
mir gegenüber ein lauter Flegel
er lallt und starrt zu mir herüber
die Augen werden immer trüber
da fällt sein Kopf ins Glas mit Wein:
So hätt ichs gern so könnte es sein!

© Hermine Geißler


Meine Mitte
 
Ich habe meine Mitte gefunden
Sie wölbt sich überm Hosenbund
Unweit darüber wohnt die Seele
Gut gefüllt und kunterbunt

Und links davon, unter dem Busen
Da schlägt mein Herz wie eh und je,
der Beat ist gut und manchmal höher,
je nachdem, wen ich so seh`

Mein Antlitz, zwei Etagen höher,
bekam durch Falten viel Kontur
und da wo früher dichter Schopf war
ist leicht gelichtet  nun  die Flur

Deshalb entweicht aus dem Gedächtnis
so manches  was ich gern behalten
doch andrerseits gibt es dann Platz
fürs positive Neugestalten

Zum Schluss die Augen, ach, die Leuchten,
noch manchmal wie bei einem Kind
wenn mich das Leben freundlich grüßt
und nette Menschen um mich sind.

 

(c) Hermine Geißler


Diebisches Meer
 
Diebisch kommt das weite Meer
Macht sich über Felsen her
Gischt spritzt hoch, versalzt den Strand
Stiehlt sich ungestraft das Land

Wasser quillt durch alle Steine
Spült um Fersen, Knie und Beine
Kiesel glänzen wieder sauber
An den Klippen hängt ein Zauber

Auf dem Wasser Silbersterne
Blicke streifen in die Ferne
Und die Seufzer in der Brust
Weichen purer Lebenslust

Diebisch kommt das weite Meer
Macht sich über alles her
Überspült die kleine Welt
Die das Herz gefangen hält

 © Hermine Geißler